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Unabweisliche Nachweise für die Unschuld von Freiheitskämpfern

Gewichtige Erträge der Forschung über die Südtiroler Bombenjahre

Es gehört zu den wissenschaftlichen Sternstunden, wenn sich ergibt, daß die historische Forschung hervorbringt, was ihre ureigene Aufgabe und Zweckbestimmung sein sollte, nämlich  neue Einblicke auf Handlungen und Einsichten in Geschehnisse zu eröffnen, für die in der Zunft bis dato gemeinhin galt, es seien alle Tatbestände und Zusammenhänge bereits klar zutage getreten gewesen und in der Geschichtsschreibung quasi amtlich oder unverrückbar dargestellt worden. Nicht selten spielt dabei die Entdeckung und akribische Analyse bisher unbekannter oder unbeachtet wenn nicht gar ignorierter Archivalien die entscheidende Rolle.

So etwa das von Helmut Golowitsch in drei voluminösen Bänden („Südtirol – Opfer für das westliche Bündnis. Wie sich die österreichische Politik ein unliebsames Problem vom Hals schaffte“, Graz 2017; „Südtirol – Opfer geheimer Parteipolitik“, Graz 2019; „Südtirol – Opfer politischer Erpressung“; Graz 2019; alle im Stocker-Verlag) aufbereitete Privatarchiv des Kärntner Unternehmers Rudolf Moser.  Aufgrund  seiner  geschäftlichen  Beziehungen nach Italien und engen Verbindungen zu ranghohen dortigen Politikern übte er nach 1945 hinter den Kulissen einen nicht unerheblichen  Einfluß auf die Südtirol-Politik aus, den man aus heutiger Sicht als geradezu verhängnisvoll bezeichnen muß, indem er als  (partei)politischer Postillon und verdeckt  arbeitender Unterhändler zwischen ÖVP und DC wirkte, Geheimtreffen Leopold Figls mit Alcide Degasperi und anderer ÖVP- bzw. DC-Größen arrangierte. Ebenso eindrücklich und mustergültig dokumentierte Golowitsch anhand von meist pfarramtlichen Archivalien in den Büchern „Repression. Wie Südtirol 1945/46 wieder unter das Joch gezwungen wurde“ sowie „Repression − 1946 bis 1961: Die Fortführung der Zwangsherrschaft in Südtirol“ (Neumarkt/Etsch 2020 bzw. 2021, erschienen im Verlag effekt!) , wie die Südtirol-Frage damals zugunsten des abermaligen Kriegsgewinnlers Italien  beantwortet und im Gewande des „demokratischen Italien“ die Re-Faschisierung  zwischen Brenner und Salurn vorangetrieben worden war.

Verschlussakten

Der  (Militär-)Historiker  Hubert Speckner  stieß indes im Rahmen seiner Beschäftigung mit der  aufgrund der dortigen Vorkommnisse politisch angeordneten Verlegung von Einheiten des Bundesheeres an die österreich-italienische Grenze in Nord- und Osttirol auf äußerst brisante Verschlußakten im Österreichischen Staatsarchiv. Als er sie erschloß, erschien insbesondere ein von italienischer Seite als blutigstes Attentat  Südtiroler Widerstandskämpfer der 1960er Jahre gebrandmarkter Vorfall, den Rom als Hebel benutzte, um Wiens EWG-Assoziation zu unterlaufen, in einem gänzlich anderen Licht. Denn er erkannte alsbald, dass die sogleich auch von der österreichischen  Regierung als zutreffend erachteten  Beschuldigungen von italienischer Seite gegen die der Tat bezichtigten und in Österreich in Haft genommenen Personen, Erhard Hartung, Peter Kienesberger und Egon Kufner, äußerst zweifelhaft waren.  Die Aktivisten des  Befreiungsausschusses Südtirol (BAS)  sollen den Mast einer Überlandleitung gesprengt und eine Sprengstoffvorrichtung im unmittelbar benachbarten Gelände angebracht haben, bei deren Detonation drei italienische Militärangehörige getötet und einer schwer verletzt worden seien.

Die BAS-Leute waren später in einem Prozess in Florenz in Abwesenheit zu hohen (Kufner) bis lebenslangen Haftstrafen (Hartung, Kienesberger) verurteilt, in  Österreich hingegen  „in dubio pro reo“ freigesprochen worden, woraufhin nach staatsanwaltschaftlichem Einspruch Bundespräsident Kirchschläger zur hellen Empörung Roms die Einstellung des Verfahrens verfügte.  Speckner konnte in seiner umfangreichen Studie „,Zwischen  Porze und Roßkarspitz …‘ Der ,Vorfall‘ vom 25. Juni 1967 in den österreichischen sicherheitsdienst-lichen Akten“, Wien (Verlag Gra&Wis) 2013, aufgrund zahlreicher Aktenstücke den Nachweis führen, dass sich besagtes Geschehen an der Porzescharte  keinesfalls so abgespielt haben konnte, wie es offiziell  dargestellt wurde und in historisch-politischen Publikationen seinen Niederschlag fand, zumal es begründete Verdachtsmomente gab und gibt, dass die italienischen Militärangehörigen dort überhaupt nicht zu Tode gekommen sein dürften. Es zeigten sich überdies gewichtige Indizien, die dafür sprechen, dass die Tat mit hoher Wahrscheinlichkeit  einer fingierten Aktion des italienischen Militärgeheimdienstes SIFAR/SID/SISMI  sowie dem damit verquickten  „Gladio“-Arm  der geheim „Stay behind“-Organisation der Nato zuzuschreiben sein dürfte.

In „Zwischen ‚Feuernacht‘ und ,Porzescharte‘…. Das ,Südtirol-Problem‘ der 1960er Jahre in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten“,  seiner aufsehenerregenden und doppelt umfangreichen Studie von 2016 (Wien, Verlag Gra&Wis), untersuchte Speckner  mehr als 50 Fälle, welche sich im Rahmen des brisanten  Südtirol-Konflikts  zwischen  Dezember 1955 bis  März 1970 zutrugen.  Seine darin luzide aufbereitete und minutiös ausgebreitete Aufarbeitung der Geschehnisse machte deutlich,  wie weit und gravierend die offizielle Darstellung von der Aktenlage des von im Staatsarchiv aufgefundenen sicherheitsdienstlichen Bestandes abwichen. Zudem ergänzte er seine Befunde aus den Primärquellen der österreichischen Staatspolizei (StaPo) mittels der durch in zahlreichen Gesprächen mit den Freiheitskämpfern des BAS gewonnenen Aussagen, was historiographisch durch „Oral history“ seine methodische Rechtfertigung findet. Die von Speckner erschlossenen sicherheitsdienstlichen Akten erbrachten in vielen dieser Fälle neue, von der Forschungslage bis dahin abweichende Sichtweisen,  Erkenntnisse und Ergebnisse sowohl auf die Geschehnisse im Einzelnen, als auch auf die gesamte Südtirol-Thematik bezogen.

Expertise von Fachleuten

Schließlich stellt Speckner im Zusammenwirken mit fundierten Expertisen  amtlich anerkannter Fachleute in seinem  soeben im Verlag effekt! (Neumarkt a.d. Etsch) erschienenen  Buch mit dem Titel „Pfitscherjoch Steinalm Porzescharte – Die drei ,merkwürdigen  Vorfälle‘ des Höhepunktes der Südtiroler Bombenjahre 1966 und 1967“ auf Rationalität fußende, exquisite  Weise  jene  echoreichsten, blutigste Fällen vom Kopf auf die Füße und führt damit deren amtliche italienische Darstellungen ad absurdum. So im Falle eines todbringenden Ereignisses am Pfitscherjoch, das sich am 23. Mai 1966 ereignet hatte. Dort war in einem neben dem Pfitscherjoch-Haus gelegenen Stützpunkt von  Guardia di Finanza, Carabinieri und Alpini-Soldaten infolge einer Explosion ein Angehöriger der Finanzwache ums Leben gekommen. Laut der „offiziellen“ italienischen Version des Geschehens habe er während des Patrouillengangs die Tür zum Schutzhaus geöffnet, worauf eine Sprengladung von ungefähr 50 kg Sprengstoff explodiert sei. Wie bei ähnlich gelagerten Vorfällen in den 1960er  Jahren „wussten“ italienische  Medien wie Politik,  dass die gewaltige, das Gebäude nahezu völlig zerstörende Explosion von „Terroristi“ verursacht worden sei. Noch heute hält das Museum der Finanzer-Truppe in seiner offiziellen Darstellung fest,  dass „der Anschlag, der auch den Einsturz der Kaserne zur Folge hatte, entpuppte sich als Werk der Südtiroler Separatistenorganisation Befreiungsausschuss Südtirol (BAS)“, die „die gewaltige Ladung wenige Tage zuvor installiert“ gehabt hätten. Und alsbald wurden die vier „Puschtra Buibm“ („Pusterer Buben“)  Siegfried Steger, Josef Forer, Heinrich Oberleiter und Heinrich Oberlechner, die Italien mehrerer Anschläge – darunter 1964 den nie bewiesenen und von der späteren Aussage eines seiner Cameraden von jemandem anderem dafür verantwortlich gemachten Mord am  Carabiniere Vittorio Tiralongo in Mühlwald bei Taufers bezichtigte – als Täter beschuldigt.

Der Beurteilung mehrerer damaliger Sprengsachverständiger  – darunter eines Experten des Entschärfungsdienstes des österreichischen Innenministeriums – zufolge weist die Aufnahme des Getöteten ebenso wie die Fotos von der zerstörten Holzhütte ursächlich auf eine Gasexplosion in der Küche der Schutzhütte hin, währenddessen sich das Opfer  in der Toilette direkt neben dem Explosionsherd aufgehalten haben dürfte. Auch das auf den offiziellen Tatortfotos der Guardia di Finanza zu erkennende  eingesackte Dach der Hütte widerspreche mit aller Deutlichkeit der Verwendung von Sprengstoff, noch dazu in der erwähnten Menge von 50 kg: diesfalls wäre das Dach, anstatt in sich zusammenzusacken vielmehr  in Trümmern in die Luft geflogen.

Speckners aus den von ihm entdeckten und erstmals  ausgewerteten Archivalien ermittelten Ergebnissen, wonach sich der Pfitscherjoch-Vorfall „also kaum so zugetragen haben konnte  wie von offizieller italienischer Seite dargestellt“, ist von unlängst vorgenommenen, mit modernen naturwissenschaftlich-sprengtechnischen  Instrumentarien fußenden umfangreichen Untersuchungen durch Experten so erhärtet worden, dass sie der Wahrheit des Geschehens zweifelsfrei am nächsten kommen und somit als bewiesen gelten dürfen. So allein schon durch die Fallbeurteilung des Spreng(mittel)experten Max Ruspeckhofer, der in seiner „COLD CASE PFITSCHERJOCH – Wie ein Unfall zu einem Anschlag wurde“ kurz und bündig feststellt: „Wenn man alle diese Dinge in Betracht zieht, bleibt eigentlich nur mehr eine einzige Schlussfolgerung übrig: Es handelte sich bei diesem Ereignis nicht um ein Attentat, bei dem bewusst der Tod von Menschen in Kauf genommen wurde, sondern um einen tragischen Unfall“.  Und eine letztvergewissernde Expertise durch den beeideten unabhängigen Sachverständige Prof. Dr. Ing. Harald Hasler, welche zudem durch dessen ballistische Berechnungen in Bezug auf das Verhalten von Personen bei Explosionen auf Grundlage der international anerkannten Basisliteratur TNO Green Book (Methods for the determination of possible damage to people and objects resulting from releases of hazardous materials) komplettiert wurden, untermauert nicht nur Ruspeckhofers Befund, sondern stellt die amtliche italienische gänzlich in Abrede. Vielmehr steht für ihn zweifelsfrei fest, dass „aufgrund der festgestellten technischen Tatsachen und Sachverhalte zweifelsfrei klar [ist], dass sich der aktenkundig beschriebene Vorfall am 23. Mai 1966 am Pfitscherjoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit so NICHT ereignet haben kann. Alle Indizien sprechen eindeutig für eine Gasexplosion. Sachverhaltsdarstellungen, Fachbeurteilungen und entscheidende Schlussfolgerungen aus den vorliegenden Akten  sind  in keinster Weise nachvollziehbar, mangelhaft und unterliegen keinen fachlich fundierten und objektiv ermittelten gerichtsverwertbaren Erkenntnissen.“

Sozusagen analog dazu ergaben sich für Speckner wie für die beigezogenen Sachverständigen in der „Causa Steinalm“ ähnlich geartete  Ergebnisse. Knapp fünf Monate nach dem Geschehen am rund um das Pfitscherjoch-Haus waren zufolge  einer Explosion in einem kasernierten Stützpunkt der Guardia di Finanza (Finanzwache) auf der Steinalm nahe dem Brennerpass zwei Finanzwache-Soldaten  ums Leben gekommen, ein schwerverletzter verstarb starb wenige Tage später. Bis heute werden in Italien drei BAS-Aktivisten, darunter der legendäre Freiheitskämpfer und Schützenmajor Georg („Jörg“) Klotz, des „blutrünstigen Anschlags“ bezichtigt und politisch sowie justizamtlich der Tat beschuldigt. Klotz‘ Frau Rosa, geborene Pöll, eine Grundschullehrerin,  deren mutigem, aufopferungsreichem und entsagungsvollen  Leben ihre Tochter jüngst eine warmherzige Biographie widmete (Eva Klotz: Rosa Pöll – Die Frau des Freiheitskämpfers“; Neumarkt/Etsch, effekt!-Verlag 2022), war daraufhin verhaftet und für 14 Monate eingekerkert, ihre sechs Kinder Verwandten und Nachbarn überstellt worden, da der Vater nachweislich in Österreich im Exil war und auch die beiden anderen Beschuldigten hieb- und stichfeste Alibis hatten.

Widersprüchliche Darstellungen

Wenngleich damals schon zahlreiche Gutachten, die von mehreren Sachverständigen zu dem Vorfall auf der Steinalm angefertigt worden waren, die Explosion einer Gasflasche, oder die Detonation einer Kiste mit Handgranaten in deren unmittelbarer Nähe, als ursächlich für den Tod der Finanzer sowie die Zerstörung des Stützpunktes ansahen, blieb und bleibt Rom geradezu doktrinär bei seiner Hergangsversion und der Täterbeschuldigung und wies, wie stets bei derartigen Vorfällen, Wien eine „Mitschuld“ zu, da die österreichischen Behörden zu wenig gegen den Terrorismus in Italien unternähmen.

Dass diese offizielle römische Schuldzuschreibung zu verwerfen ist, zeigt eigentlich allein schon Speckners Durchleuchtung des damaligen Vorfalls, zudem untermauert die eigens durchgeführte  neue wissenschaftlich begründete Begutachtung durch den Sachverständigen Hasler seine aktenmäßig erschlossenen  historischen Ergebnisse.  Hasler stellt nämlich aufgrund seiner umfangreichen Befunde, einer forensischen, kriminaltechnischen Analyse sowie der Bewertung der angeführten einzelnen Sachverhalte unumwunden fest,  „dass sich der aktenkundig beschriebene Vorfall am 9. September 1966 auf der Steinalm mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit so NICHT ereignet haben konnte“. Infolgedessen verwirft er die dem damaligen Gerichtsverfahren und Urteil zugrundlegenden Ergebnisse italienischer Gutachter, indem er konstatiert, sie unterlägen „keinen fachlich fundierten und objektiv ermittelten gerichtsverwertbaren Schlussfolgerungen“.

Schließlich der an Tragik und Verwerflichkeit des amtlichen Wirkens italienischer Politik wie Justiz und Agierens der Medien sowie des publizistischen ebenso wie des generellen wissenschaftlich und historiographischen Nachhalls  im Blick auf die „Südtiroler Bombenjahre“ wohl kaum zu übertreffende „Fall Porzescharte“.  In einer Auflistung von (nach heutigen Erkenntnissen angeblichen) Terroranschlägen, die einer Wien übermittelten diplomatischen „Verbalnote“ des römischen Außenministeriums vom 18. Juli 1967 beigeheftet ist, wird das Geschehen auf der Porzescharte am 25. Juni 1967 wie folgt „klar und eindeutig“ beschrieben: „Sprengung des Mastes einer Hochspannungsleitung  durch eine mit Uhrwerk versehene Sprengvorrichtung. Während des Lokalaugenscheins tritt der Alpini-Soldat Armando Piva auf eine Tretmine und verursacht eine Explosion. Infolge der schweren Verletzungen stirbt der Soldat kurz darauf im Zivilkrankenhaus von Innichen. Gegen 15 Uhr desselben Tages gerät eine Feuerwerker-Truppe nach Säuberung des um den Hochspannungsmast gelegenen Geländes in eine weitere Minenfalle. Die Explosion verursacht den Tod des Karabinierihauptmanns Francesco GENTILE, des Fallschirmjägerleutnants Mario DI Legge und des Fallschirmjäger-Unteroffiziers Olivo TOZZI [sic!, der richtige Name ist DORDI], sowie schwere Verletzung des Fallschirmjäger-Feldwebels Marcello FAGNANI. Am Tatort wurde ein Gerät mit der Aufschrift B.A.S. aufgefunden.“

Schon von Anfang an hatten sich daran jedoch äußerst auffällige Widersprüche ergeben. Bereits am 26. Juli, also einen Tage nach den ersten italienischen Meldungen, die österreichische Stellen übermittelt worden waren, ließ sich der Osttiroler Bezirkshauptmann Dr. Doblander mit einem Hubschrauber  an den Ort des Geschehens bringen.  Das Ergebnis seines Erkundungsfluges meldete die Sicherheitsdirektion für Tirol an das österreichische Innenministerium: „Der Bezirkshauptmann schließt, mit 100 %-iger Sicherheit‘ aus, daß in der Nähe dieses Mastes eine andere Explosion erfolgt ist. Es konnten weder Fußspuren noch Blutspuren noch irgendwie andere Spuren festgestellt werden, die darauf hindeuten würden, daß sich hier mehrere Menschen befunden haben. Der italienische Grenztrupp soll aber aus 25 Personen bestanden haben. Die Anwesenheit dieser 25 Personen in der Nähe dieses Mastes hält der Bezirkshauptmann auf Grund der Bodenlage und -beschaffenheit für ausgeschlossen.“ Dies deckte sich mit dem Inhalt eines Aktenvermerk der Tiroler Sicherheitsdirektion aufgrund von Angaben der Österreichischen  Verbundgesellschaft, wonach zwei deren Monteure aus dem Standort Lienz in Begleitung eines Gendarmeriebeamten am 27. Juni  auf der Porzescharte zur Schadensbegutachtung an der Leitung von Lienz nach Pelos waren. In besagtem Aktenvermerk wurde daraufhin festgehalten:  „Im näheren Bereich des Mastes auch auf italienischem Gebiet konnte außer einem Zettel, italienisch beschriftet, einigen Drähten, keine Spuren gefunden werden, die auf Minenexplosionen und vor allem auf das Verunglücken von Menschen schließen lassen. Es wäre anzunehmen, daß in solchen Fällen Verbandreste, Blutspuren oder ähnliches wahrnehmbar gewesen wäre. Außer einem weit entfernten Posten in der meist besetzten Kaverne aus dem 1. Weltkrieg waren im gesamten Bereich weder Grenzschutzorgane, Militär noch Arbeiter zu bemerken.“

Der „blutigste Terrorakt“

Fest steht, dass die alsbald für „den blutigsten Terrorakt“ verantwortlich gemachten und in Innsbruck in Untersuchungshaft genommenen Aktivisten des Südtiroler Freiheitskampfs Erhard Hartung (Arzt), Peter Kienesberger (Elektriker) und Egon Kufner (Soldat) in der betreffenden Nacht im Juni 1967 gemeinsam am Ort des Geschehens waren. Sie waren Peter Kienesberger am 24. nach Einbruch der Dunkelheit  – um vom Alpini-Stützpunkt Forcella Dignas aus nicht gesehen zu werden –, in Richtung Porzescharte aufgestiegen, um, wie sie stets beteuer(te)n, dort einen verwundeten Südtiroler BAS-Mann zu übernehmen, das Vorhaben aber aufgrund von unüblichen Wahrnehmungen des durch viele ähnliche Einsätze erfahrenen Kienesberger, der sie als mögliche italienische Falle  deutete,   abbrachen.  Buchautor Speckner arbeitete heraus, dass Kienesbergers Erkenntnis, in dieser Nacht nicht allein auf der Porzescharte zu sein,  mit einiger Sicherheit der Wirklichkeit entsprochen haben dürfte. Vehement stell(t)en Hartung und Kufner, die beiden noch Lebenden – Kienesberger verstarb 2015 –  das von italienischer Seite unterstellte Ziel der gezielten Tötung von Angehörigen der italienischen Sicherheitskräfte mittels Minen in Abrede. Die in Italien verurteilten und dort nach wie vor von Inhaftierung bedrohten, in Österreich hingegen freigesprochenen beiden lebenden Aktivisten beteuern in aller Klarheit, mit dem Tod der vier italienischen Soldaten am 25. Juni 1967 nicht das Geringste zu tun zu haben, was in den österreichischen Gerichtsverfahren, dem damals zugrundeliegenden, von ihren Verteidigern initiierten Gutachten sowie von den  in Speckners vorgelegtem Buch eingegangenen jüngsten Sachverständigen- Expertisen untermauert wird.

Nach italienischer Darstellung der Ereignisse um den 25. Juni 1967, welche unter Druck, dem sich Wien nicht widersetzte, vom politischen Österreich und dessen Sicherheits- sowie partiell auch Justizorganen letztlich übernommen worden ist, soll die Gruppe Kienesberger binnen einer halben Stunde den Strommast direkt an der Grenze doppelt vermint und zwei perfekt getarnte Sprengfallen derart optimal verlegt haben, dass sie ihr mörderisches Ziel erreicht hätten. Festzuhalten ist, dass diese Darstellung trotz aller neuen Archivfunde und seit 2013 erschienenen Publikationen, welche sie erheblich in Zweifel ziehen, als alleingültige angesehen wird – in Italien sowieso – und auch von einigen Historikern, insbesondere in Südtirol, geteilt wird. Dies vornehmlich infolge des ideologisch motivierten „erkenntnisleitenden Interesses“ und merklicher Bedachtnahme  auf die vielfach obwaltende „politische Korrektheit“, wonach die „Porzescharte-Attentäter“ aus Österreich „eindeutig dem Rechtsextremismus zuzurechnen“ seien.

Wie sich in Speckners  vorliegendem  Buch zeigt, missachtet die erwähnte Übernahme der italienischen  Darstellung die sicherheitsdienstliche Aktenlage sowie die sprengtechnischen und naturwissenschaftlichen Bedingungen des Geschens(ablaufs) auf der Porzescharte. Diese werden in den darin enthaltenen gutachterlichen Stellungnahmen der Sachverständigen Ruspeckhofer und Hasler ausführlich erörtert.  So resümiert Max Ruspeckhofer  die von ihm angestellten umfänglichen sprengtechnischen Analysen und fasst deren Ergebisse unumwunden in der aussagekräftigen Feststellung „ein Attentat das keines war“ zusammen.

Hasler stellte nach vier Jahren umfangreicher wissenschaftlicher Feldversuche Rekonstruktionen zu dem Vorfall und den beschriebenen Sachverhalten im Detail zusammen. In forensischen Untersuchungen wurden die aufgrund der vorhandenen Akten sich ergebenden Sachverhalte in nach  modernsten, aus  naturwissenschaftlich-(spreng)technischen  Erkenntnissen gewonnenen Methoden  auf Plausibilität sowie Reproduzierbarkeit hin überprüft und bewertet sowie schließlich den aktenkundigen Ergebnissen gegenübergestellt. Der Gutachter stellte zusammenfassend fest: „Aufgrund der sehr umfangreichen Befundaufnahme, der Feldversuche/ Rekonstruktionen sowie Detailanalysen der einzelnen Sachverhalte zu den aktenkundigen Angaben der Ereignisse vom 25. Juni 1967 auf der Porzescharte kann […..]mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gesagt werden, dass sich die Ereignisse so NICHT ereignet haben können. Die dokumentierten Ereignisse sind nicht im Ansatz reproduzierbar, absolut unerklärbar und nicht im Ansatz nachvollziehbar. […..] Praktische Feldversuche bei denen die Sprengung vom 25.06.1967 mehrmals mit ballistischer Gelatine, humanoiden  Dummies und Indikatoren nach den Aktenangaben wissenschaftlich hinterfragt und nachgestellt wurden“, belegten dies „eindeutig und zweifelsfrei“.

Speckners (im Verlag effekt!, Neumarkt/Etsch) unter dem Titel „Pfitscherjoch Steinalm Porzescharte. Die drei ,merkwürdigen Vorfälle‘ des Höhepunktes der Südtiroler Bombenjahre in den Jahren 1966 und 1967“ erschienenes und mit bisher unbekannten sowie sich aus dem Wirken der Gutachter ergebenden Illustrationen Buch schließt mit einem anlassbezogenen  pointierten Überblick über jene überaus beachtenswerten geheimdienstlichen Aktivitäten in Italien, welche  vor allem im Zusammenhang mit der Südtirol-Problematik von Belang und Substanz sind.

Ehre und Unehre

Abschließend ist festzuhalten, dass der Beharrlichkeit und Zielstrebigkeit  des einschlägig ausgewiesenen  Autors das Hauptverdienst zukommt, in gründlichen Forschung(sarbeit)en den Nachweis erbracht zu haben, dass für die Anschläge von 1966 und 1967 auf dem Pfitscherjoch, der Steinalm und der Porzescharte  keineswegs unter die Verantwortung der  Freiheitskämpfer des BAS zu rubriziert werden dürfen,  sondern entweder als Unfälle zu verbuchen sind oder den von höchsten Stellen, Amtsträgern und Politikern des Staates angeordneten und/oder  gebilligten Umtriebe nationalistisch-autoritär gesinnter italienischen Geheimdienste und darin wirkenden Funktionsträgern anheimzustellen sind. Es gereicht Italien ebensowenig wie einer gewissen Spezies der Historiker- wie der Politologenzunft nicht zur Ehre, dass es trotz längst dingfest gemachter Widersprüchlichkeiten und nachgewiesener Unrichtigkeiten unnachgiebig die Absicht zu verfolgen scheint,  an seinen bzw. ihren herkömmlichen Darstellungen festzuhalten. Und allen in die Südtirol-Frage involvierten Amts- und Funktionsträgern in Politik, Justiz, Wissenschaft und Medien Österreichs und Tirols als Ganzes ist leider der Vorwurf nicht zu ersparen, angesichts aller neuen Erkenntnisse, die sie aufrütteln müssten, vor diesem untragbaren Zustand die Augen zu verschließen.

„Wenn Unrecht Recht wird, wird Widerstand Pflicht“

Ob Katalonien oder Tirol: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist Grundrecht. Es gilt ohne jegliche Vorbedingungen und ist Staatsverfassungen übergeordnet. Ich habe mich in St. Pauls (Gemeinde Eppan) in einer von rund 2000 Zuhörern umjubelten Rede mit dem Freiheitswillen der Völker auseinandergesetzt. Anlass war die alljährliche, vom Südtiroler Heimatbund (SHB) und dem Südtiroler Schützenbund (SSB) getragene Gedenkfeier für Sepp Kerschbaumer, dem Gründer des Befreiungsausschusses Südtirol (BAS), seine Mitstreiter und alle am Südtiroler Freiheitskampf der 1950er bis 1970er Jahre Mitwirkenden sowie deren Angehörigen.
Ich widerspreche dem im Zusammenhang mit der Katalonien-Problematik immer
wieder vorgebrachten Einwand, ein Volk könne das Selbstbestimmungsrecht nur dann
beanspruchen, wenn sein Dasein von einer politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder sonstwie gearteten Unterdrückungssituation bestimmt werde: „Mit
Verlaub: Dies ist abwegig.“
Hier die vollständige Gedenkrede:

„Wenn Unrecht Recht wird, wird Widerstand  Pflicht!“

Dies, hohe Gedenkversammlung, ist ein Satz von enormer Wucht.

Er enthält konditioniert die strikte Aufforderung  zur Tat.

Jene Männer, derer wir  gedenken, haben sich zweifellos davon leiten lassen.

In ihrer Überzeugung, für die Heimat aufs Äußerste zu gehen und selbst den Tod in Kauf zu nehmen, konnten sie sich guten Gewissens auf diesen Satz und dessen Autor berufen.

„Wenn Unrecht Recht wird, wird Widerstand Pflicht“ stammt  von Papst Leo XIII. Und findet sich in dessen Enzyklika „Sapientiae Christianae“ („Christliche Weisheiten“) vom 10. Januar 1890.

Sepp Kerschbaumer, Luis Amplatz, Jörg Klotz, Anton Gostner, Franz Höfler, Kurt Welser, deren Namen hier auf der Gedenktafel dieses Gottesackers verzeichnet sind, und die vielen anderen geschundenen Aktivisten des Befreiungsausschusses Südtirol, mitsamt ihren Angehörigen, derer wir  unsere Reverenz erweisen für ihr heldenmütiges Wirken,  wussten sich  damit moralisch auf der sicheren Seite.

Wer wollte bestreiten, dass Italien damals Unrecht für Recht setzte. Und dass die Aktionen aller Freiheitskämpfer  deshalb als sittlich, moralisch und juristisch gerechtfertigte Widerstandshandlungen gewertet werden müssen.

Franz Klüber, Jurist und Theologe, hat dies in seiner 1963 erschienenen und nach wie vor empfehlenswerten Schrift „Moraltheologische und rechtliche Beurteilung aktiven Widerstandes im Kampf um Südtirol“  ausdrücklich festgehalten.

Dass ich Wert lege auf die Feststellung „aller Freiheitskämpfer“ hat Gründe.

Wir  wissen,  dass Anlage und Wirkung ihrer Taten in Zweifel, ja bisweilen sogar in den Schmutz gezogen wurden und werden.

Zudem hat man die BAS-Aktivisten segregiert,  wissenschaftlich, publizistisch und  politisch zweckdienlich unterteilt:

In jene einer ersten Phase von Widerstandshandlungen, die man aus Sicht absoluter Gewaltlosigkeit  als moralisch verwerflich deklarierte,  nolens volens später aber als politisch hilfreich anerkannte, weil sie den Weg zum Autonomiepaket mitbereitet hätten.

Und in Aktionen einer zweiten Phase, die ohne Rücksicht auf Verluste ausgeführt worden seien, also Gewalt auch  gegen Menschen verübt hätten.

Und dass dabei ausnahmslos  Rechtsextremisten, ja Nazi-Adepten am Werk gewesen seien.

Diese Phase wird von interessierter Seite durchweg für verwerflich und unentschuldbar erklärt,  Beteiligte werden zu niederträchtigen Parias stigmatisiert.

Geschätzte Anwesende – dem ist beherzt  entgegenzutreten. Warum?

1.) In jahrelanger Arbeit hat der  österreichische Militärhistoriker Hubert Speckner nachgewiesen, dass das angebliche Attentat auf der Porzescharte  im Juni 1967 nicht stattfand.

Zumindest  nicht so stattfand, wie es italienischerseits dargestellt und in Politik, Wissenschaft und Publizistik  bis zur Stunde als Faktum angesehen wird. Auch hier in Südtirol.

Niemand in Bozen, Innsbruck oder Wien rührt einen Finger zur Rehabilitierung der zu Unrecht der Tat bezichtigten und zu hohen Haftstrafen verurteilten Erhard Hartung und Egon Kufner. Peter Kienesberger, der dritte, ist  mittlerweile verstorben.

Der Prozess in Florenz wurde von Höchstgerichten in Österreich und Deutschland für verfahrensrechtswidrig und menschenrechtswidrig erklärt. Das ergangene Fehlurteil ist nach wie vor in Kraft.

2.) hat Speckner  anhand von 48 „aktenkundigen“  Vorfällen akribisch nachgewiesen, dass die aus den staatspolizeilichen und gerichtlichen Dokumenten Österreichs hervorgehenden Sachverhalte massiv von den  offiziellen italienischen Darstellungen abweichen.

BAS-Aktionen fanden ungefähr zeitgleich eine gewisse Parallelität durch  italienische Neofaschisten und konspirativ arbeitende Dienste.

Aus beiden Studien lassen sich  geschichtsrevisionistische Schlüsse ziehen.

Hatte Italien nach dem Zweiten Weltkrieg  Südtiroler zu Nazis abzustempeln versucht, so stellt es seit Ende der 1950er Jahre alle BAS-Aktivisten  unter Generalverdacht des Neonazismus.

Festzuhalten und offensiv zu vertreten ist daher: Der BAS-Grundsatz, wonach „bei Anschlägen keine Menschen zu Schaden kommen dürfen“, wurde trotz Eskalation der Gewalt zwischen „Feuernacht“ 1961 und der mehrheitlichen Annahme des „Pakets“ durch die Südtiroler Volkspartei 1969 weitestgehend eingehalten.

Der Tod nahezu aller während dieser Jahre gewaltsam ums Leben gekommenen Personen ist nicht dem BAS als solchem anzulasten, wie dies bis heute wahrheitswidrig behauptet wird.

Stattdessen handelt es sich bei den meisten der von Speckner durchleuchteten Vorfälle mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um Unfälle bzw. um  italienische Geheimdienstaktionen.

Auch für einige  in Österreich geplante und/oder ausgeführte Anschläge ist dem BAS willentlich, aber fälschlicherweise die Täterschaft zugeschrieben worden.

Auch hierfür zeigen Speckners Analysen, dass sie zum größten Teil auf das Konto italienischer Neofaschisten, Geheimdienstler und sog. „Gladisten“ gehen; anderenteils waren einige Rechtsextremisten Urheber, die nicht dem BAS angehörten oder mit ihm in Verbindung standen.

Ein Zusammenhang zwischen den Anschlägen und dem BAS wurde wahrheitswidrig  in Italien behauptet und in Österreich folgsam übernommen, um den Südtiroler Freiheitskampf zu diskreditieren.

Betrachter aus Politik, Kultur, Publizistik  und leider auch aus der Wissenschaft – auch  aus diesem Teil Tirols – folgen dieser Betrachtung.

Wider besseres Wissen. Neue Forschungsergebnisse werden nicht nur ignoriert, sondern geradezu verschwiegen und mitunter sogar bekämpft.

Womit all  denen bis zur Stunde Unrecht geschieht, die aus Verzweiflung über die kolonialistische Unterwerfungsgeste auch des sog. „demokratischen“ Nachkriegsitaliens handelten.

Was nicht nur mich konsterniert.

Hohe Gedenkversammlung. Worin besteht das zeitgemäße Erbe des Freiheitskampfes?

Es besteht im Widerstand gegen verhängnisvolle Entwicklungen, an der bisweilen auch die hiesige Politik mitwirkt.

Entwicklungen, die – ohne Korrektur – auf nationalkulturelle Deformation bzw. Eliminierung hinauslaufen und im weiteren Fortgang unweigerlich zur Assimilation und letztlich zur „ewigen Italianità“  dieses Teils Tirols führen.

Widerstand heute heißt natürlich nicht mit der Waffe in der Hand oder mit Sprengstoff im Rucksack und an Masten gegen derartige Fehlentwicklungen Sturm zu laufen.

Widerstand heute heißt vielmehr: Widerspruch einlegen.  

Heißt: Das Wort erheben gegen missliebige politische Entscheidungen.

Heißt: Gesellschaftliche Erscheinungen anzuprangern, die für Bestand und Erhalt der angestammten Bevölkerung Tirols  abträglich sind.

Heißt auch und vor allem: Immer wieder auf den wahren Kern des Freiheitskampfes hinweisen:

1.) auf die Gewährung der zweimal verweigerten Selbstbestimmung.

2.) Trotz des im Vergleich mit der Lage anderer nationaler Minderheiten Europas anzuerkennenden beispielhaften Charakters der Südtirol-Autonomie, immer wieder den Finger in die Wunde der unerfüllt gebliebenen Ausübung des Selbstbestimmungsrechts zu legen.

Diese Wunde mögen manche Südtiroler vielleicht für schon verheilt erachten.

Doch besänftigt vom politisch-medial bestärkten Gefühl „Es geht uns ja doch gut und sogar besser als anderen“ vergessen sie, dass die fast als Maß aller Dinge verabsolutierte Autonomie lediglich ein Provisorium ist.

Es ist wider die Vernunft, Geschichte als etwas Statisches anzusehen oder, wie nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems geschehen, gar das  „Ende der Geschichte“ auszurufen.

Daher gilt, hoffentlich nicht nur für mich: Wer die Selbstbestimmung nicht mehr als realisierungsfähiges Ziel anstrebt, verwirkt den Anspruch, für das Volk (des ganzen Tirol) und die Bevölkerung seines fremdbestimmten südlichen Teils  zu sprechen, zu wirken und die Menschen zu vertreten.

Primat der Politik in Tirol, in Südtirol und nicht zuletzt in Österreich hat die Verwirklichung der Selbstbestimmung zu sein.

Die Ansicht, wie sie 2015 vom österreichischen Außenministerium und seiner Diplomatie geprägt und von den regierenden Mehrheitsparteien einschließlich Grünen und Neos im Nationalrat vertreten worden ist, nämlich dass die Südtirol-Autonomie „…. ein konkreter Ausdruck des Gedankens der Selbstbestimmung“, damit sozusagen „Wahrnehmung einer Form der inneren Selbstbestimmung“ sei, ist interpretatorische Rabulistik  und allenfalls für diejenigen schlüssig, die am Status quo nicht gerüttelt haben möchten.

Unter Hinweis auf die italienische Verfassung – die wie alle Verfassungen zentralistisch organisierter  Staaten   den Passus von der „einheitlichen, unteilbaren Nation“ enthält – ist nicht allein, aber doch vor allem von Südtiroler politischer Seite  im Zusammenhang mit der  Katalonien-Problematik eingewendet worden, ein Volk könne das Selbstbestimmungsrecht nur dann beanspruchen, wenn sein Dasein von  einer politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder sonstwie gearteten Unterdrückungssituation bestimmt werde.

Mit Verlaub: Dies  ist abwegig.

Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist ein Grundrecht. Es gilt ohne jegliche Vorbedingungen, und es ist  als Völkerrechtsnorm  Staatsverfassungen übergeordnet, nicht untergeordnet. Punktum!

Es ist der gegen  Unabhängigkeitsbewegungen vorgebrachten  These zu widersprechen, wonach Grenzen unverrückbar bzw. Grenzveränderungen obsolet seien.

 Die These wird von  sogenannten Legalisten oder Rechtspositivisten und naturgemäß von jenen politischen Kräften vertreten, die jeden gegen den Status quo gerichteten Vorstoß ablehnen.

Legalisten verstecken sich – wie im Falle Spaniens, Frankreichs,  Rumäniens und Italiens – hinter Verfassungen, die keine Abspaltung einzelner Landesteile vorsehen.

Dies geht  an der historisch-politischen Wirklichkeit vorbei.

Hätten die Legalisten seinerzeit immer recht behalten, wäre die Schweiz heute noch deutsch, Polen nicht existent, wären die Niederlande spanisch, und die Vereinigten Staaten befänden sich noch im Kolonialbesitz des British Empire.

Die Geschichte selbst führt den Rechtspositivismus somit ad absurdum.

Sie zeigt, dass das das Verschieben von Grenzen gerade Ausdruck der Freiheit und des Selbstbestimmungsrechts der Völker ist.

In den vergangenen hundert Jahren ist die Zahl der durch Sezession, Abspaltung und Unabhängigkeitserklärungen entstandenen Staaten rapide gewachsen.

1914 gab es 57 Staaten auf der Welt, Mitte des 20. Jahrhunderts waren es  100.

 Heute – nach Entkolonialisierung und dem Zerfall der Sowjetunion sowie  der Sezession Jugoslawiens – sind 193 Staaten Mitglied der Vereinten Nationen.

Nicht selten ging die Unabhängigkeit  mit blutigen Kämpfen einher. Ein positives Beispiel für eine friedliche, einvernehmliche Trennung gaben Tschechen und Slowaken zum Jahreswechsel 1992/1993.

Grundsätzlich sollte die Sezession möglich sein, wenn ein unverschuldet in fremdnationale Umgebung  gezwungenes Volk oder ein Volksteil nach reiflicher Überlegung die Unabhängigkeit und Loslösung beansprucht.

Dies bei Anwendung der dafür vorgesehenen juristisch-politischen Instrumentarien.

Und der Unabhängigkeitswille muss in einer freien, fairen Abstimmung mit ausreichender Beteiligung und qualifizierter Mehrheit festgestellt werden.

Ich stimme daher mit dem Völkerrechtler  Felix Ermacora überein: „Kein Staat der Erde kann auf  Dauer einem Volk die Selbstbestimmung vorenthalten, auch Italien den Südtirolern nicht, aber wollen und fordern muss man sie!

Hohe Gedenkversammlung. Ich komme zum Schluss:

Die Entwicklung, die EU-Europa seit zwei Jahrzehnten genommen hat, zeigt leider überdeutlich, dass das mitunter litaneihaft beschworene Konstrukt „Europa der Regionen“  eine Schimäre ist.

Nüchtern betrachtet ist die politische Union auf unabsehbare Zeit nicht zu verwirklichen, weshalb das Gewicht der Nationen und Nationalstaaten bleibt.

Daher sollten sich die Tiroler unterm Brenner eingedenk  ihrer  Geschichte und Ihres  Daseins in einem unsicheren, wesensfremden Staat  dorthin begeben können, wohin sie wollen.

Ich empfehle: wohin sie weit mehr als sechs Jahrhunderte gehörten.

Und im Gedenken an die  Freiheitskämpfer des BAS appelliere ich  an Sie: Löcken Sie wider den Stachel einer Politik derer, die nicht  willens zu sein scheinen, über den Tag hinaus zu denken.

Unterstützen Sie Initiativen und wirken Sie mit in Organisationen, die den Schneid besitzen, aus Kenntnis einer unverfälschten oder einseitig interpretierten Geschichte heraus über diesen Teil Tirols nachzudenken und Anstöße für seine selbstbestimmte Zukunft zu vermitteln.

Ich schließe meine Gedanken zum Gedenken mit einem sinnfälligen Aphorismus von Goethe:

„Wer das Recht hat und Geduld, für den kommt auch die Zeit.“

 

„Lügenpresse“? – Ein Fallbei(spie)l

Wider die im Internet massenweise kursierenden Vorwürfe, wonach Printmedien sowie Rundfunk- und Fernsehanstalten nurmehr unter dem Rubrum „Lügenpresse“ gefasst werden könnten, stimmen deren „Macher“ Loblieder auf Ethos, Güte und Seriosität ihresgleichen an. Wie es damit bestellt ist, konnten interessierte „Medien-Konsumenten“ diesseits und jenseits der Alpen soeben wieder einmal an einem hinsichtlich des Umgangs mit dem Wahrheitsgehalt von Informationen und deren Verbreitung gleichwohl aber symptomatischen Fall beobachten. Berichte vom Ableben Peter Kienesbergers, eines ehedem weithin bekannten, wirkmächtigen Südtirol-Aktivisten – der besonders mutig, tapfer, konspirativ und effektvoll Vorgehende gehörte zu den von den italienischen Diensten und Sicherheitskräften in den 1960er Jahren am meisten gefürchteten „Partisanen“ – strotzten nur so von Fehlinformationen, Unwahrheiten und Stigmatisierungen.

Die entscheidende Wende im Leben des 1942 in Wels (Oberösterreich) Gebürtigen leiteten die Folgen der Herz-Jesu-Nacht 1961 ein, als die Männer des Befreiungsausschusses Südtirol (BAS) am 11. und 12. Juni rund um Bozen 40 Masten sprengten, um die Welt auf die nicht anders als kolonialistisch zu nennende Politik Italiens gegenüber den Südtirolern aufmerksam zu machen. Als die „Besatzungsmacht“ – so die Terminologie nicht allein der BAS-Leute – daraufhin 22 000 Carabinieri und Soldaten nach Südtirol verlegte, als es zu Massenverhaftungen und zu Folterungen der inhaftierten BAS-Aktivisten kam, kündigte Kienesberger kurzerhand seinen Arbeitsplatz und schloss sich deren Widerstand an. Der gelernte Elektriker war – im Gegensatz zu den in Medienberichten verbreiteten Falschinformationen – nie Student. Er gehörte folglich nicht der Innsbrucker Verbindung „Brixia“ an. Da er nie studiert hatte, konnte er auch nicht „Diplom-Kaufmann“ gewesen sein, als der er in diesen Medienberichten unter Bezug auf den viel später in Nürnberg von ihm betriebenen Verlag und Buchdienst genannt worden ist. Kienesberger war auch nie NDP-Mitglied, wenngleich er deren Vorsitzenden Norbert Burger gut kannte.

Der legendäre Schützenmajor  Jörg Klotz
Der legendäre Schützenmajor
Jörg Klotz

Schon am 22. August 1961 stand der junge Bursche mit dem legendären Südtiroler Schützenmajor Georg („Jörg“) Klotz und einigen anderen Mitverschwörern im Passeier im Einsatz. Die Gruppe sprengte einen Hochspannungsmast. Es folgten Mastensprengungen im Bozner Unterland, Sprengstofftransporte über Gletscher und Jöcher hinweg, Kommandounternehmen im Passeier- und im Sarntal. Kienesberger begleitete Klotz und dessen engen, 1964 im Auftrag des „Ufficio riservato“ (Abteilung für vertrauliche Angelegenheiten) des italienischen Innenministeriums von einen Agenten ermordeten Kameraden Luis Amplatz, einen (gewählten) Offizier der Schützenkompanie Bozen-Gries, bei diversen weiteren Einsätzen.

In Italien war Kienesberger – stets in Abwesenheit und in Verfahren, welche von österreichischen und deutschen Höchstgerichten später als menschenrechtswidrige Fehlurteile eingestuft wurden – zu 47 Jahren (Mailänder Gericht) sowie zu lebenslänglicher Haft (Florentiner Gericht) verurteilt worden. In Österreich hingegen, wo er mehrmals wegen Südtirol-Verfahren vor Gericht stand, wurde er stets freigesprochen. Zeitlebens hatte es Peter Kienesberger bedrückt und empört, dass ihm – und seinen damaligen Mitangeklagten, (dem aus Innsbruck stammenden späteren Düsseldorfer Anästhesie-Prof. Dr. med.) Erhard Hartung und (dem Unteroffizier des österreichischen Bundesheeres) Egon Kufner – der Tod von vier italienischen Soldaten angelastet wurde, die angeblich im Juni 1967 auf der Porzescharte durch ein von ihm geplantes Attentat zu Tode gekommen sein sollten. Was sie stets vehement von sich wiesen. Sie waren durch „Geständnisse“ belastet worden, welche die italienischen Sicherheitsbehörden von zwei verhafteten österreichischen BAS-Mitgliedern unter Folter erpresst hatten.

Im Gegensatz zu dem im menschenrechtswidrigen Abwesenheitsverfahren zu Florenz 1971 ergangenen Urteil wurden Kienesberger, Hartung und Kufner in Österreich in zweiter Instanz freigesprochen, Bundespräsident Rudolf Kirchschläger unterband den von der Staatsanwaltschaft initiierten nächstinstanzlichen Fortgang.

Der junge Kienesberger als Angeklagter in einem österreichischen Verfahren, das mit Freispruch endete
Der junge Kienesberger als Angeklagter in einem österreichischen Verfahren, das mit Freispruch endete

Peter Kienesberger aber hatte allein wegen der „Causa Porzescharte“ drei Jahre und sieben Monate unschuldig in Untersuchungshaft verbracht und bis zur Einstellung des Verfahrens dreieinhalb Jahre in Deutschland im Exil gelebt. Insgesamt brachte er sechs Jahre und acht Monate seines Lebens in österreichischer Untersuchungs- und deutscher Auslieferungshaft zu. Italien versuchte zwischen 1978 und 1992 in mehreren juristischen und politischen Vorstößen von Deutschland seine Auslieferung zu erwirken. Diese Versuche, gegen die österreichische Politiker, so Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ) und Justizminister Harald Ofner (FPÖ), bei der deutschen Regierung intervenierten und auf die Fragwürdigkeit des italienischen Vorgehens hinwiesen, scheiterten schließlich am Bundesgerichtshof (BGH) sowie am Bundesverfassungsgericht (BVG) in Karlsruhe. Mehrere Entführungs- und Mordpläne italienischer Geheimdienste gegen Kienesberger mit bereits konkreten Vorbereitungen schlugen indes fehl, da sie vorzeitig enthüllt wurden.

Im erzwungenen Exil in Nürnberg hatte Kienesberger seine Frau Elke kennengelernt und mit ihr den formell von ihr verlegerisch geführten „Buchdienst Südtirol“ gegründet, in welchem er seinen kämpferischen Einsatz für die Freiheit Südtirols mit publizistischen Mitteln – historischen Dokumentationen, Kalendarien und der Zeitschrift „Der Tiroler“ im Namen der von ihm mitbegründeten „Kameradschaft ehemaliger Südtiroler Freiheitskämpfer“ – fortführte. Einschlägigen Medienberichten wonach Kienesberger laut bayerischen Verfassungsschutzberichten über seinen „Buchdienst Südtirol“ „rechtsextremistisches Gedankengut verbreitet“ habe, steht an tatsächlichem Wahrheitsgehalt entgegen, dass er lediglich ein einziges Mal im Jahresbericht 2001 des Bayerischen Verfassungsschutzes erwähnt worden war, weil er vor der „Burschenschaft Danubia“, welche eigentlich Gegenstand von dessen Beobachtung war, einen Vortrag über die Ereignisse in Südtirol in den 1960er Jahren gehalten hatte. Das mag genügen, um aufzuzeigen, wie aus einer faktischen Singularität medial das Generalverdikt „rechtsextrem“ wird. Bleibt hinzufügen, dass heutzutage jeder, der Zweifel an der offiziellen Wiener, Innsbrucker und Bozner Südtirol-Politik äußert und stattdessen die den Südtirolern stets verweigerte Selbstbestimmungslösung verlangt, in Politik und Medien „politisch-korrekt“ und „mainstreamig“ als „Rechtsextremist“ gebranntmarkt wird. Die Ablehnung der „Tiroler Tageszeitung“ (TT), eine von der „Kameradschaft ehemaliger Südtiroler Freiheitskämpfer“ begehrte Todesanzeige für Kienesberger zu bringen, spricht Bände.

Eine Genugtuung war es für den Verstorbenen, noch erleben zu dürfen, dass der österreichische (Militär-) Historiker Hubert Speckner in einer anhand bis dato geheimer österreichischer Akten und zufolge eigener Untersuchungen unter Beiziehung von Sprengstoff-Experten in dreijähriger Arbeit schlüssig bewiesen hat, dass der sogenannte „Tatort“ auf der Porzescharte seinerzeit offenbar manipuliert worden war und demzufolge Kienesberger mitsamt damaligen Mitangeklagten am einstigen Geschehen auf der Porzescharte nicht beteiligt gewesen sein konnte. Stattdessen müssen, wie der Historiker und Publizist Reinhard Olt in seiner Einleitung zu Speckners Untersuchung(sergebniss)en darlegte, die zugrundeliegenden Geschehnisse im Zusammenwirken konspirativer Machenschaften italienischer Geheimdienstler mit (im italienischen „Gladio“-Arm der geheimen „Stay-behind“-Nato-Sabotagetruppe aktiven) Angehörigen neo-faschistischer Gruppierungen, unterfüttert von einer aus römischen und regionalen Stellen gespeisten Desinformationskampagne, mit dem Ziel gesehen werden, das österreichisch-italienische Spannungsverhältnis zu verschärfen und damit Wiens EWG-Assoziationsbegehr zu unterlaufen.

Fehl geht, wer glaubt(e), Speckners 2013 veröffentlichte Studie, welche nachträglich die Berechtigung des einstigen zweitinstanzlichen österreichischen Freispruchs der drei unterstreicht und sie rehabilitiert, führe alsbald auch zu deren juristischer Rehabilitation. Nichts dergleichen ist auf absehbare Zeit erwartbar. Weder sind Bemühungen erkennbar, das florentinische Fehlurteil von 1971 zu annullieren, noch eine Wiederaufnahme des Verfahrens überhaupt anzustrengen. Geschweige denn, dass der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer – dem an der Universität Innsbruck habilitierten Juristen ging Speckners Buch zu – die Courage (gehabt) hätte, bei seinem italienischen Gegenüber auf Annullierung zu dringen.

Noch unerträglicher stellt sich indes das Verhalten von sonst eigenlöblich auf Korrektheit und informationelle Zuverlässigkeit bedachte Presseorgane in Deutschland, Österreich und Südtirol dar. Zwar berichteten seinerzeit einige wenige über Speckners Erkenntnisse in der „Causa Porzescharte“; doch in den soeben aus Anlass von Kiensbergers Ableben veröffentlichten Meldungen und Berichten war davon nichts mehr zu finden. Im Gegenteil: wenn man bedenkt, was über ihn an Unwahrheiten oder Fehlinformationen verbreitet wurde, glaubt man sich in die damalige italienische Desinformationskampagne zurückversetzt. Nicht allein, weil die italienische Agentur Ansa und die in Bozen erscheinende, italienisch-nationale Tageszeitung „Alto Adige“ das Sammelsurium althergebrachter Verdikte aufwärmten, was von dieser Seite eigentlich nicht anders erwartet werden konnte. Doch dass auch Publikationsorgane aus dem Südtiroler Verlagshaus Athesia ihr offenkundig ewiggleiches, auf Kienesberger und andere Freiheitskämpfer, die nicht für die (von der Südtiroler Volkspartei verabsolutierte) Autonomie, sondern für Selbstbestimmung, Loslösung von Italien und Wiedervereinigung mit Österreich fochten, bezogenes „Geschichtsbild“ nicht revidier(t)en, ist ihrer nicht würdig.

Den Gipfel journalistisch-ethischer Unwürdigkeit – im Sinne der Verbreitung von Fehlinformationen – überschritt indes die Austria Presse Agentur (APA). Sie kupferte kurzerhand und ohne dessen Angaben einer nachrecherchierenden Überprüfung/Kontrolle zu unterziehen, nahezu wortwörtlich den unwahren Wikipedia-Eintrag zu Peter Kienesberger ab und verbreitete ihn. Obschon auf Wikipedia mittlerweile leicht korrigiert – wenngleich er noch immer die fälschliche Berufsbezeichnung „Diplom-Kaufmann“, der der unstudierte Elektriker nie war, und andere Unkorrektheiten aufweist – hielt es Multiplikator APA (zumindest bis zur Abfassung dieses Beitrags) nicht für nötig, deren Inhalt zu korrigieren. Ebensowenig jene Organe, welche besagte, um 11:42 Uhr ins APA-Tagesprogramm eingestellte Agenturmeldung Nr. 0211 vom 15. Juli 2015 ungeprüft übernahmen und – mitunter durch eigene Ungenauigkeiten ergänzt – publizierten.

Angesichts dessen erübrigt es sich fast, desillusioniert festzustellen, dass Kienesberger und seine Kameraden von den etablierten Medien in Italien , Österreich und Deutschland (wider besseres Wissen seit Speckners Studie) sowie von politisch korrekten Zeitgenossen nach wie vor als „Terroristen“ und „Mörder“ sowie als Rechtsextremisten diffamiert werden. Und als Fazit kann festgehalten werden: Erfahrungen im Umgang von Medien mit dem Schicksal Einzelner, wie sie hier aufgezeigt wurden, mach(t)en nicht wenige Zeitgenossen wütend. Dass es Agenturen, Zeitschriften, Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen mit der Wahrheit nicht immer so genau nehmen, lässt sie zu „Wutbürgern“ werden. Als solche entäußern sie sich über die sogenannten „Sozialen Netzwerke“ und behängen Medien mit wiederbelebten pejorativen Begriffen wie „Lügen-“ und/oder „Systempresse“.

Der BAS-Mann: Nachruf auf den anderen Gerd Bacher

Bacher

Des unlängst im 90. Lebensjahr verstorbenen, weit über die Grenzen seines Landes hinaus bekannten Publizisten Gerd Bacher ist in zahlreichen Nachrufen ob seiner großen Verdienste um das österreichische Presse- sowie Rundfunk- und Fernsehwesen rühmend und weithin zutreffend gedacht worden. Eine Seite Bachers blieb dabei jedoch weitgehend ausgeblendet – sei es, weil jüngere „Nachrufer“ damit nichts mehr zu verbinden wussten, sei es, weil das Thema aufgrund bewussten oder unbewussten Verdrängens in der politischen und publizistischen Szenerie Österreichs sowie überhaupt in der Öffentlichkeit keinen Platz mehr einzunehmen scheint. Es geht um die Rolle Bachers im Südtiroler Freiheitskampf. Sie soll daher im folgenden etwas näher beleuchtet werden.

Im Frühjahr 1958 suchten der Wiener Verleger Fritz Molden und der Innsbrucker Journalist Wolfgang Pfaundler, beide vormals NS-Widerstandskämpfer, in Frangart an der Weinstraße den Kleinlandwirt undPfaundler Greisler Sepp Kerschbaumer auf. Mit von der Partie war auch der Journalist Gerd Bacher, der damals in der von Molden und ihm gegründeten Zeitung „Express“ tonangebend war. Kerschbaumer war   d   i   e   charismatische Führungsfigur des 1956 von ihm gegründeten „Befreiungsausschusses Südtirol“ (BAS). Der BAS, lose organisiert und aus „Zellen“, will sagen: im Geheimen sich bewegenden Kleingruppen, bestehend, trat für die Gewährung und Ausübung der 1945 von den Siegermächten verweigerten Selbstbestimmung und also für die Loslösung des 1918/19 von Italien annektierten südlichen Teils Tirols und dessen Rückgliederung an Österreich ein.
Kerschbaumer
Seit seiner Gründung hatte sich der BAS, sieht man von kleineren Sabotageakten gegen italienische „Volkswohnbauten“ ab, zunächst auf das Verfassen aufrüttelnder Briefe an Politiker sowie auf Flugblatt-Aktionen beschränkt. Damit wandte man sich vehement gegen die in kolonialistischer Manier fortgesetzte Entnationalisierungspolitik unseligen faschistischen KerschbaumerAngedenkens durch das „demokratische“ Nachkriegsitalien. Zufolge des Treffens Moldens, Pfaundlers und Bachers mit Kerschbaumer in Frangart sollten sich Aktionsradius, Schlagkraft und Wirkungsweise des BAS ändern: Zum einen formierte sich der BAS mittels der von Pfaundler angeführten (Nord- und Ost-)Tiroler Teilorganisation zu einer Gesamttiroler Vereinigung von Freiheitskämpfern. Zum andern beschaffte man Sprengstoff, um sich durch punktuelle, gezielte Anschläge auf italienische Einrichtungen Gehör zu verschaffen sowie die (europäische und Welt-)Öffentlichkeit auf das den Südtirolern angetane Unrecht aufmerksam zu machen. Waffen wurden beschafft, damit man sich nötigenfalls verteidigen konnte, sollte man während der Anschlagsvorbereitungen von italienischen Sicherheitskräften überrascht werden.
Fritz Molden und Gerd Bacher stellten  wichtige politische Kontakte her und engagierten sich publizistisch im Sinne der BAS-Ziele. Darüber hinaus beschaffte Molden auch Geld, womit der BAS-Freiheitskampf eine zwar nicht gänzlich ausreichende, aber doch hinlängliche finanzielle Basis erhielt.
Gesamttiroler Freiheitskämpfer-Vereinigung
Parallel zu den von ihm und seinem Bruder Otto ins Leben gerufenen Alpacher Hochschulwochen initiierte Fritz Molden ein erstes Gesamttiroler Treffen von BAS-Mitgliedern mit politischen Exponenten. Einer war Aloys Oberhammer (ÖVP), und zwar in seiner dualen Eigenschaft als Nordtiroler Landesrat und Führungsmitglied der Nordtiroler BAS-Organisation. Mithin war Oberhammer nicht nur informiert über die Planungen des BAS, sondern als Mitplaner aktiv daran beteiligt. Molden hat das in einem am 8. Januar 1999 unter dem Titel „Terroristen gegen Italien – mit Bruno Kreiskys Einverständnis“) erschienenen Interview preisgegeben: „Im Herbst 1959 gab es eine Besprechung in Alpbach beim ‚Achenwirt’, das war der Luis Amplatz, der Georg Klotz, der Kerschbaumer, der Klier, der Pfaundler, der Bacher – also die ganze Gruppe beinander. Auch der Landesrat Oberhammer, der Onkel vom späteren ORF-Chef.“
Mit dabei war aber auch der stellvertretende Obmann (Vorsitzende) der Südtiroler Volkspartei (SVP), der Publizist Dr. Friedl Volgger, wie Elisabeth Baumgartner in dem von ihr, Hans Mayr und Gerhard Mumelter 1992 in Bozen herausgegebenen Buch „Feuernacht – Südtirols Bombenjahre“, unter Berufung auf ein von ihr mit Fritz Molden am 7. Dezember 1990 geführtes Interview berichtete: „Erstmals ging es um die Frage, wie man der Südtirolfrage energischer weiterhelfen könnte. Ein Treffen im Zeichen der politischen Aufbruchsstimmung, erinnert sich Friedl Volgger, damals stellvertretender SVP-Obmann. Südtiroler Politiker habe man, weil zu exponiert, aus weiteren eventuell kompromittierenden Kontakten herausgehalten, bestätigt Fritz Molden.“ (S. 21 f.)
BAS-Aktivisten und -Umfeld
Neben den Genannten – Molden, Pfaundler, Bacher, Oberhammer – gehörten der Nordtiroler Landesgeschichtler Eduard Widmoser (Obmann des Bergisel-Bundes), der Schriftsteller Heinrich Klier, der Kaufmann Kurt Welser, die Innsbrucker Universitätsassistenten Helmut Heuberger und Norbert Burger (nachmals NDP-Gründer) sowie das Künstler-Ehepaar Klaudius und Herlinde Molling zu den Nordtiroler BAS-Aktivisten. „In ihrem Umfeld bewegten sich Persönlichkeiten wie der Völkerrechtler Felix Ermacora, der Legationsrat im Außenministerium Josef Dengler oder Winfried Platzgummer, der damalige Assistent von Staatssekretär Franz Gschnitzer“, heißt es in einem „Die Welle der Sprengstoffanschläge in Südtirol“ betitelten Beitrag des Südtiroler Publizisten Christoph Franceschini in dem von Anton Pelinka und Andreas Maislinger 1993 herausgegebenen zweibändigen „Handbuch zur neueren Geschichte Tirols“ in Band 1 auf S. 472, welcher auf Interviews mit ehemaligen BAS-Leuten und auf der Auswertung von StaPo-Akten fußt.

Kreisky und die Brüder Molden
Kreisky und Brüder MoldenMolden und (der Weltkriegs-Teilnehmer) Bacher unterhielten enge persönliche Beziehungen zu Spitzenleuten des Südtiroler BAS. Hier ist vornehmlich der legendäre Passeirer Schmied Georg („Jörg“) Klotz zu nennen, der, ebenso wie der Nordtiroler Pfaundler von Anfang an für eine vom BAS zu verfolgende Kleinkriegstaktik plädierte: Waffen sollten allerdings nur zur Selbstverteidigung eingesetzt werden, um der Gefangennahme zu entgehen und nicht Opfer von Folterungen zu werden, wie sie insbesondere nach der berühmten „Feuernacht“ (vom 11. auf den 12. Juni 1961) in Carabinieri-Kasernen an der Tagesordnung waren. So eng war die Verbindung zu (dem einstigen Unteroffizier einer Pionier-Einheit der Wehrmacht) Klotz, Klotzdass dieser (den Panzergrenadier) Bacher und (den Angehörigen eines Wehrmachts-Strafbataillons und späteren Verbindungsmann der österreichischen Widerstandsbewegung O5 zu den Amerikanern) Molden von seiner Waltener Schützenkompanie zum Ehrenleutnant (Bacher) bzw. Ehrenhauptmann (Molden) wählen ließ.
Für den BAS hatte Verleger Molden die Aufgabe übernommen, politische Fäden zu spinnen. Neben dem Nordtiroler Landesrat Rupert Zechtl (SPÖ) waren er und Pfaundler, aber auch der publizistische „Multiplikator“ Bacher für Außenminister Bruno Kreisky kompetente Gesprächspartner und Verbindungsleute zum BAS. Molden und Bacher kamen 1960 als Publizisten in dessen Gefolge mit nach New York, wo der Sozialist Kreisky die Südtirol-Problematik vor die Vereinten Nationen trug und in einer spektakulären Rede dafür sorgte, dass sie nicht nur auf die Tagesordnung gesetzt, sondern durch zwei UN-Resolutionen – die erste 1960, die zweite 1961 – ins Weltbewusstsein gerückt wurde, womit das römische Gebaren letztlich einen entscheidenden Dämpfer erhielt.
Eine „Richtungsentscheidung“
Ende des Jahres war es dann im BAS zu einer „Richtungsentscheidung“ über das weitere Vorgehen gekommen, denn die UN-Befassung mit dem österreichisch-italienischen Konflikt hatte vorerst noch keine Auswirkungen gezeitigt: „Am 8. Dezember 1960 kam es zu einer Konferenz aller führenden BAS-Leute, in der abgestimmt wurde, ob endlich losgeschlagen werden sollte oder nicht. Eine klare und eindeutige Mehrheit stimmte für das Losschlagen. Lediglich eine Minderheit wie etwa Gerd Bacher und ich schlugen vor, noch ein Jahr zuzuwarten und den Bemühungen der österreichischen Regierung, Zugeständnisse zu erreichen, noch eine Frist zu geben. Wir konnten uns nicht durchsetzen, und wie sich in den folgenden Jahren und Jahrzehnten herausgestellt hat, war die Entscheidung loszuschlagen richtig“, bemerkte Molden in seinem 2007 erschienenen Buch „Vielgeprüftes Österreich. Meine politischen Erinnerungen“ (S. 150). Formell zogen sich Molden und Bacher zwar aus dem (Nordtiroler) BAS-Zweig zurück, unterhielten aber dennoch auch weiterhin Kontakt zur – mit den Massenverhaftungen nach der „Feuernacht“ in Südtirol nahezu aufgeriebenen – Organisation verbliebener Freiheitskämpfer.
KienesbergerKämpfer und Zeitzeuge
Dies bezeugte Peter Kienesberger, einer der rührigsten und wagemutigsten: „Im August und September 1961 haben Klotz und ich zwei militärisch geplante Feuerüberfälle im Passeier und Rabenstein durchgeführt. […] Klotz und ich wurden einige Zeit nachher nach Alpbach gebracht. Mit dabei waren Pfaundler, Schimpp, Schwarzenbacher (ein Zollbeamter) und Franz Sigmund. […] In Alpbach wurden wir Molden und Bacher vorgestellt, bzw. ich, Klotz kannte beide schon. Schon bei der Fahrt wurden wir über die Bedeutung des Treffens informiert. Es ging vor allem darum, ausführlich zu schildern, wie diese beiden Partisanenaktionen durchgeführt worden waren. Innerhalb des BAS ging ja ein jahrelanger Streit voraus, ob man nur Anschläge durchführen sollte oder Partisanenaktionen, wie am Ende des Krieges. Pfaundler, Klotz, Molden waren eindeutig für Partisanenaktionen. Auch im Gespräch später wurde ausführlich erörtert, dass es keine Verhaftungen und Folterungen gegeben hätte, wenn man nach den Anschlägen in militärische Partisanengruppen abgetaucht wäre. Beide Aktionen von Klotz lieferten den Anhängern dieser These den Beweis, dass diese Art des bewaffneten Kampfes problemlos möglich war. Molden begrüßte Klotz überschwänglich herzlich und auch mich. Er bedankte sich für meinen Mut, dass ich als Österreicher bereit war, solche gefährlichen Einsätze mitzumachen. Er ließ sich von Klotz ausführlich den gesamten Einsatz schildern: Ausrüstung, Grenzübergang, Verhalten der Bevölkerung, Verpflegung aus der Bevölkerung, Gegenmaßnahmen der Italiener. [… ] Besonders imponierte Molden die Schilderung, dass wir oft tagelang unsere schweren Rucksäcke nicht tragen mussten, weil sich immer wieder Bauern fanden, die uns stückweise begleiteten und weiterreichten. Molden sagte auch immer wieder, dies sei der Beweis, dass seine (und Pfaundlers) Ansichten richtig waren […] Molden bedankte sich am Ende nochmals, bat, dies auch an die anderen Teilnehmer weiterzusagen, und ließ sich von Klotz dessen geheime Anschrift geben. (Scheibenhof Mutters). Er sandte auch unmittelbar eine Kiste besonders guten Wein zu Klotz als Zeichen des persönlichen Dankes für diese Einsätze.“ (Gedächtnisprotokoll Peter Kienesberger vom 6. August 1996, enthalten in der von Otto Scrinzi herausgegebenen „Chronik Südtirol 1959 – 1969“ (Graz-Stuttgart 1996, S. 170)

Nach-Colorierung
Das mag genügen, um das Bild des verstorbenen Gerd Bacher ebenso wie jenes des ihm im Januar 2014 in die Ewigkeit vorausgegangenen Freundes Fritz Molden um jene Farbtupfer zu ergänzen, welche von berufenen oder unberufenen Nachrufern weggelassen worden sind, um das heute in Politik und Medien vorherrschende Schwarz-Weiß nicht zu gefährden. Erst diese nachträgliche Colorierung wird dem Andenken zweier aufrichtiger und mutiger Männer wie Bacher und Molden sowie ihrer Verbundenheit mit den Freiheitskämpfern des BAS und ihrem idellen und materiellen Einsatz für (Süd-)Tirol gerecht.